…oder warum sich dieser Artikel selbst die Daseinsberechtigung entzieht.
Von Thomas Pilz
Als guter Germanist glaube ich an die Macht des Wortes. Dennoch glaube ich auch, vielleicht noch viel deutlicher, an die Macht des Nicht-Sagens. Ich glaube, dass Sprache Erleben sein kann, aber eben nicht Wiedererleben, das sich Lernende so oft wünschen.
Es ist ersichtlich, dass Sprache Denken nur inadäquat abbilden kann. Sprache ich eine Transformation des Denkens und wird vom Verstehenden wieder transformiert. Die Informatik spräche hier wohl von Konvertierungsverlusten, die sich somit zwangsweise ergeben. Dennoch erwarten wir als Produkte des Zeitalters kommunikativer Diarrhö, dass alles erklärbar sein müsse, wenn es denn nur durch genügend viele Worte ausgedrückt worden ist. Und wie erkläre ich dann dem Blinden die Farbe Lila? Benjamin Lee Whorf fragte sich das schon vor fast 100 Jahren. Vielleicht könnte man diese Frage noch blasphemisch ergänzen durch: Was hätte der Blinde eigentlich davon?
Unbestreitbare Fakten besitzen sicherlich etwas ungemein Beruhigendes. Wenn ich aus dem dritten Stock springe, geht es mir anschließend mindergut. Dies zu wissen, verhindert effizient den beherzten Hüpfer über das Balkongeländer. Dennoch zweifle ich den Mehrwert an, den die Reflexion über zerschmetterte Organe angesichts des eintretenden Ablebens bieten kann. Wenn aber Sprache letztlich nicht transportieren kann, was erfahren werden soll, dann kann man auch einfach still sein – oder wie Dieter Nuhr es so niederrheinisch prägnant formuliert hat: Einfach mal die Fresse halten.
Sprache schallt in unserem Inneren lauter als Empfindung. Sie übertönt unseren leisen Empfindungen und auch die Empfindungen anderer. Auch gedachte Sprache überlagert die Freiheit des Körpers, Erfahrungen geschehen zu lassen und diese wahrzunehmen.
Empfindung ist dabei zunächst einmal genau dies: Rückmeldung. Nicht Warnung oder Einladung zum Nachdenken und Philosophieren. Das gilt insbesondere auch für Unangenehmes. So fühle man, ohne zu analysieren. Belastung und Schmerz sind körperliche Fakten, die in den meisten Fällen harmlos sind. Wie groß kann der Schaden der Nichtreflexion denn gegenüber dem Gewinn der Erfahrung sein?
Was sollen meine Worte also, die sich selbst wie der berühmte Brief des Lord Chandos widersprechen? Läuft die ganze tolle Weisheit auf die triviale Aussage zu, weniger zu palavern? So sieht es leider aus.
Dem Enttäuschten möchte ich mein Plädoyer in Form eines Dreischritts mit auf den Weg geben: Sei still. Akzeptiere. Erlebe.
Vielleicht hörst du etwas völlig Unerhörtes.